Nukleare Pforte: Mimoň (Ploučnice)


in Zusammenarbeit mit Konrad Behr entstand dieses akustische Porträt aus der Perspektive des Wassers. Vom in der Sanierung befindlichen Laugungsbergbau Stráž pod Ralskem zum militärisch genutzten Raumfährenlandeplatz „Hradčany“ bis hin zum beräumten Truppenübungsplatz „Mimoň“ spürt die Komposition den Spuren des Wassers nach – u.a. des Flusses Ploučnice. Die chemische Uranförderung bedroht potentiell die Trinkwasserquellen sowie die Oberflächenflüsse in der Region, weshalb eine (bis 2080 geplante) Sanierung stattfindet. Obwohl also der Truppenübungsplatz in ein „Wildnisgebiet“ verwandelt wurde, in dem Bisons leben, ist die nukleare Geschichte des Ortes unterschwellig aktiv – Idylle und Dystopie sind nah bei einander. Das Wasser „erzählt“ – unbeteiligt beteiligt – die Geschichte des Gebietes in einer zwanzigminütigen Komposition. Das klangliche Material wird mit Hydrophonen unter der Wasseroberfläche aufgenommen, durch Fieldrecordings ergänzt und zu einer Collage verarbeitet – das Recherchematerial, vertont durch KI-Stimmen kontrastiert und thematisiert, die Geschichte der Landschaft.

Das entstandene Stück ist eingebettet und wurde ermöglicht durch „Im Fluss“ – ein Projekt der Geräuschkulisse:

Es ist eines von vier weiteren Stücken von Polina Khatsenka, Leon Goltermann und La Pesch welche am 26.10. um 18 uhr im Zimmt (Torgauer Str. 8, Leipzig) gespielt werden.


Was ist das Wesen des Flusses? Was verbindet er? Was verbindet der Mensch mit ihm? Und wie können wir die oft unsichtbaren Beziehungen zwischen Mensch und Natur akustisch erfahrbar machen? In einer musikalischen Soiree präsentieren fünf KünstlerInnen ihre persönliche, künstlerische und teilweise wissenschaftlich inspirierte Annäherung an das Phänomen Fluss. Diese in Form, Ansatz und Ausdrucksmitteln vielfältigen Werke, speziell für elektroakustische Surround-Konzerte geschaffen, laden das Publikum ein, in die klangliche Bestandsaufnahme FLUSS einzutauchen: Sei es als grenzüberschreitendes Objekt, als historischer Ohrenzeuge einer ehemaligen Militärregion, als Spiegel gesellschaftlicher Bewegungen und Stillstand, oder als kritische Neuinterpretation von Smetanas Moldau. Im Anschluss an jedes Werk findet ein offenes Publikumsgespräch mit den anwesenden KünstlerInnen statt.

Mit freundlicher Unterstützung des Musikfonds und dem Kulturamt Stadt Leipzig – in Kooperation with ZiMMT e.V. and phonon~

Tickets bei ZiMMT

Nukleare Pforte: Leinawald (Nobitz)

Das Projekt ist Teil einer größeren bisher 9-teiligen Serie von Porträts nuklearer Orte in Mittel- und Osteuropa, wovon das Stück über den Leinawald im Rahmen des Stipendiums des Kunsthofs Niederarnsdorfs im Herbst 2022 entstand. Schwerpunkt der Serie sind teils verlassene, teils aktive Orte des sowjetischen Teils der nuklearen Kette. Der Ausgangspunkt der Untersuchung war der sowjetisch-deutsche Uranbergbaus Ostthüringens, also auch im Altenburger Land. Uran wurde als Reparationsleistung der DDR an die Sowjetunion geliefert. Den Spuren des Urans folgend gelangte ich an weitere nukleare Standorte.

Rund 40km Luftlinie von Leipzig befindet sich der Flughafen Leipzig-Altenburg (Nobitz), welcher in der jüngeren Vergangenheit einen Linienflugverkehr betrieb, der aber bereits seit über einem Jahrzehnt wieder eingestellt wurde. In älterer Vergangenheit, vor 1990, war es ein bedeutender Militärflughafen, von dem aus Atombomben im Kriegsfall des Kalten Krieges verschickt worden wären. Das ehemalige Atomwaffenlager besteht heute aus mehreren zugeschütteten Bunkern.

Nukleare Pforten

Stationen der Nuklearen Kette in Mittel- und Osteuropa
Die Geschichte der Nuklearindustrie beginnt im 20. Jahrhundert. „Nukleare Pforten” legt den Fokus auf die geschichtsträchtigen Standorte der Nuklearindustrie abseits der Bühne Atomkraftwerk, wie die Soziologin Gabrielle Hecht es beschreibt. Für dieses Projekt bewege ich mich parallel zur Zeitachse auf die Spur der Ereignisse: ich habe das ehemalige Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin Dahlem (heute den Hahn-Meitner-Bau der FU Berlin) aufgesucht, an dem die Kernspaltung entdeckt wurde, das erste Kernkraftwerk Deutschlands Rheinsberg im Rückbau erkundet, den ehemals größten sowjetischen Flughafen des Balitkums, Raadi, ein Stadteil Tartus nebst (Atom-)Bombenlager in Maramaa (und Luunja) erkundet, die ebenfalls geschlossene Stadt Sillamäe der ESSR mit Uran-Aufbereitungsanlage direkt an der Ostsee besucht, den Militärkomplex Ralsko im heutigen Tschechien porträtiert, der nicht nur das Uranbergbaugebiet Stráž pod Ralskem beinhaltet, sondern auch den ehemaligen Truppenübungsplatz Mimoň mit alternativer Landebahn für die sowjetische Raumfähre sowie das DDR-Endlager Morsleben für schwach und mittelradioaktive Abfälle. Ich erstelle allerdings keine Serie von Features, die vor allem informativen Zwecken genügen, Ziel ist vielmehr eine auditive Reise mit künstlerischen Mitteln zu konzipieren, die sich wesentlich auf aktuelle und historischen Zusammenhänge dieses Industriezweigs konzentriert. Ich habe selbst lange an einem nuklearen Ort gelebt und weiß wie kontraproduktiv eine einseitige, plakative Darstellung sein kann, da sie Gebiete und ihre Bewohner:innen stigmatisiert. Künstlerische Repräsentation ist mehrdeutig und kann auch paradoxe Gegebenheiten gut vereinen, damit ist sie ausgezeichnet aufgestellt um sich diesem schwierigen, aber auch interessanten Themenkreis zu widmen. Die Relikte des Atomaren Zeitalters werden in der öffentlichen Debatte meiner Erfahrung nach entweder vermieden oder sehr angstbesetzt verhandelt. Dabei ist eine gelingende Kommunikation über Themen und Risiken an aktuellen und ehemaligen Standorten der Nuklearindustrie essentiell. Es betrifft deutlich mehr Orte, als allgemein bekannt ist und wird in Zukunft, die Endlagersuche als Beteiligungsverfahren ist beispielsweise in vollem Gange, noch zahlreiche Orte mehr betreffen, denn der rollende Zug der Nukleargeschichte ist mit seiner Ewigkeitslast nur langsam zu stoppen und bleibt zukünftigen Generationen noch lange als nukleare Erbe erhalten. Als ich dieses Projekt im Sommer 2021 konzipierte, war nicht abzusehen, dass der militärische Einsatz eine solche Aktualität erfahren würde: seit Februar 2022 werden Atomwaffen in verschiedener Form auch in Europa wieder strategisch eingesetzt. Umso wichtiger ist es, die Kontinuität dieser Waffen zu verfolgen, wie alle Glieder dieser nuklearen Kette.

Atomgeschichte, Magie und Alltag
Nukleargeschichte ist mit vielen Mythen und Missverständnissen verbunden. Obwohl Uran längst Teil fast aller Kulturen geworden ist, erscheint es uns eher als ein fernes, obskures Element. Diese Perspektive mag aus dem Narrativ entspringen, dass insbesondere die Atombombe als das Undenkbare vorgestellt wurde. Zahlreiche Autor*innen betonen die magische Konnotation, die immer wieder in Zusammenhang mit der Kernkraft auftaucht: Schon Ernst Bloch konstatierte, dass die „Strahlungsindustrie“ mit ihrer praktischen Anwendung der Quantentheorie und Relativitätstheorie Paradoxien zum Vorschein bringe, „die nicht nur jede Romanvision überbieten, sondern fast die Modellbücher alter Magie“. So ist es nicht verwunderlich, dass auch Apokalypse und Atomkraft eng miteinander verbunden sind. Viele Assoziationen zur Kernenergie sind zudem mit „abgelegenen” Orten verknüpft. Mein Projekt soll auf die Präsenz des nuklearen Komplexes in unserer Umgebung verweisen und so eine Verbindung zu unserer Lebenswelt herstellen – Stationen der Atomgeschichte finden sich auch in unmittelbarer Nähe, ohne dass wir immer davon wissen.

Vorhaben künstlerischer Forschung
Für Nukleare Pforten werde ich nukleare Orte in Deutschland und Osteuropa besuchen und aus diesen Reisen eine Serie von assoziativen Audiocollagen entwickeln, bestehend aus Fieldrecordings, Sonifikationen, Interviews, Found Footage und Texten. Diese können sowohl im Radio gesendet, als auch als Podcast veröffentlicht oder als Ausstellungsbeitrag konzipiert werden. Für jede „Pforte” werde ich eine Art künstlerischen „Proof“ entwickeln, der die gemachten Erfahrungen porträtiert. Dabei wird die (Un-)Möglichkeit sinnlicher Wahrnehmung die Ullrich Beck, die „Enteignung der Sinne” genannt hat, eine wesentliche Rolle spielen. Folgende Forschungsfragen werde ich bearbeiten: Gibt es Hinweise auf die Besonderheit der Orte und wenn ja welche? Setzen sich Menschen, die in unmittelbarer Umgebung wohnen damit auseinander und wenn ja, wie? Kann man mit der Sammlung der Erfahrung so verschiedener Orte eine akustische Atomsemiotik (angelehnt an die Human Task Force Interference) entwickeln?

Transportbehälter für radioaktive Stoffe, ausgestellt am Bf Rheinsberg, Juni 2020

Die Entstehung dieses Werks wurde durch ein Stipendium der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen 2022 ermöglicht.